Interview

Erster Band von Zweyers Trilogie erschienen

16. Juni 2015 | Gesellschaft Kultur

 

Anbei das Interview mit Jan Zweyer, das am 8. Mai erschien

Der Autor Jan Zweyer hat eine Mittelalter-Trilogie unter dem Titel „Das Haus der grauen Mönche“ geschrieben. Im inherne-Interview erläutert der Schriftsteller aus Herne, warum er sich immer stärker auf historische Literatur fokussiert.

Das dreibändige Werk schildert das Schicksal des Waisen Jorge, der bei Möchen aufwächst (Band 1: „Das Mündel“ / erscheint am 15. Juni), in die Hände von Räubern fällt (Band 2 „Freund und Feind“) und schließlich in der Hanse Karriere macht (Band 3, „Im Dienst der Hanse“).

inherne: Herr Zweyer, ich denke, es war für Ihre Leser eine große Überraschung, dass Sie sich in Ihren neuen Werken einer ganz anderen Zeit zugewandt haben.

Zweyer: Vier meiner Bücher waren historische Romane, davon drei historische Romane, die Goldstein-Trilogie, und zum Schluss „Die brillante Masche“, ein Buch, das ja noch nicht mal ein Krimi ist. Je mehr historische Literatur ich geschrieben habe, desto mehr hat mir das Genre Spaß gemacht. Aus einem ganz banalen Grund: Man lernt unheimlich viel. Der Rechercheaufwand ist allerdings ungleich höher als bei zeitgenössischer Literatur.

Und dann wollte ich mal ganz was anderes machen: Du schreibst mal einen historischen Abenteuerroman und keinen Krimi, dachte ich. Das Ding wurde länger und länger und länger, und dicker und dicker und am Schluss sind es 1300 Seiten geworden.

inherne: 1300 Seiten in einem Buch, das ist ein mächtiger Brocken …

Zweyer: Die Antwort des Verlages: Als Hardcover zu teuer und als Paperback – das Buch ist genauso hoch wie breit – fliegt Ihnen das auseinander. Nach langem Hin und Her haben wir uns auf drei Bände geeinigt. Für mich war wichtig, dass der Titel gleich bleibt und nur die Subtitel sich ändern, damit den Leuten klar wird: Das ist ein zusammenhängender Text. Wir werden die Bücher so gestalten, dass man jedes für sich alleine lesen kann. Aber die Leser werden sehr viel mehr davon haben, wenn sie die drei Bände hintereinander lesen.

inherne: Sie vollziehen einen kompletten Genrewechsel. Haben Sie keine Bedenken, dass Ihre Leser vielleicht nicht mitmachen?

Zweyer: Ich habe anspruchsvolle Leser. Die können sowas. (lacht). Um es ehrlich zu sagen: Ich weiß es nicht. Wir wissen es alle nicht. Ich wollte mich einfach nicht festlegen lassen.

Die ersten sieben Kriminalromane habe ich mit dem Rechtsanwalt Rainer Esch als Hauptfigur bestritten. Natürlich bildet sich dann auch eine eingefleischte Leserschaft, die den Esch mag.

Aber Sie reiten so ein Pferd auch tot. Ich habe dann einfach gesagt: Ich beuge mich dem nicht mehr. Das Schreiben hat einfach nicht mehr so viel Spaß gemacht. Und wenn Sie ohne Spaß schreiben, wird es einfach nur schlecht.

  • Jan Zweyer mit inherne-Redakteur Horst Martens in seinem Heimatbezirk Teutoburgia. © Thomas Schmidt, Stadt Herne

inherne: Bis jetzt sind Sie in Ihren Geschichten bis in die 20-er Jahre zurückgegangen. Jetzt haben Sie ja noch einen Riesenschritt nach hinten gemacht.

Zweyer: Die Bücher spielen an der Schwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit, zwischen 1488 und Ende 1502. Derzeit schreibe ich an einem noch älteren Roman, der spielt zur Zeit des 4. Kreuzzuges von 1200 bis 1202.

Es ist auch eine ganz andere Art zu erzählen. Man muss sich der Grenzen bewusst sein, die man bei historischer Literatur hat. Im Gegensatz zu zeitgenössischer Literatur waren wir in der dargestellten Zeit alle nicht dabei. Je weiter Sie zurückgehen, desto schwieriger wird die Recherche. Vom Mittelalter existieren Briefwechsel von nur insgesamt 80 Personen.

inherne: Im Gegensatz zu den offiziellen Dokumenten erfährt man bei solchen persönlichen Unterlagen, wie Menschen im Alltag sprechen.

Zweyer: Die Frage ist unheimlich spannend: Wie haben die Leute eigentlich geredet? Wir können ja nicht Mittelhochdeutsch schreiben. Also übersetzen wir es ins Hochdeutsche. Haben sie sich geduzt, geihrtzt, gesiezt oder geeucht?

In historischen Romanen wird keine Realität, sondern nur eine Vorstellung von Realität beschrieben.

Als Amateur, was die Historie angeht, kommen Sie einfach an ihre Grenzen. Ich kann kein Lateinisch lesen. Ich kann die deutsche Schrift aus dieser Zeit nicht lesen. Alles muss ich recherchieren - und das ist nur bis zu einem gewissen Umfang möglich. Das einzige, was mich ärgern würde: Wenn ich einen Fehler mache und jemand könnte mir mit einer einfachen Google-Recherche sagen: Hättest du mal nicht nur auf Seite eins geguckt, sondern auch auf Seite drei.

inherne: Wie sind Sie auf die Idee mit dem Haus der grauen Mönche gekommen?

Das Haus der grauen Möche in Hattingen hat es wirklich 100 Jahre bis zur Reformation gegeben.

inherne: Wie sind Sie überhaupt zu Hattingen gekommen?

Zweyer: Ich habe mir zuerst die Zeit ausgesucht. Eine unheimlich spannende Zeit: Reformation, Entdeckung Amerikas, Erfindung der Buchdruckkunst.

Dann habe ich geschaut: Wo waren denn Städte? Herne bestand im 15. Jahrhundert aus drei Bauernhöfen und einem Schloss. Im Ruhrgebiet gibt es nicht viele historische Stadtkerne, in denen man sich vorstellen kann, wie es ausgesehen hat. Hattingen hat hingegen sehr viel Mittelalterliches. Da habe ich mir zuerst eine Stadtgeschichte besorgt. Darin war vom „Haus der grauen Möche“ die Rede. Mönche sind immer gut für historische Romane. Sie können nämlich lesen und schreiben.

Ich habe mir die Frage gestellt: Warum heißen die Dominikaner denn graue Mönche. Der Habit der Dominikaner ist schwarz. Vielleicht war das Zeug verwaschen. Oder lag es an ihren grauen Bärten? In der Zeit trugen die Mönche aber keine langen Bärte – aus hygienischen Gründen. Dann hatten die auch noch Tonsur. Außerdem wurden sie auch nicht alt genug, um graue Bärte zu bekommen.

Schließlich habe ich den Prior der Dominikaner angemailt, der mir antwortete: Das wüsste er auch nicht. Dann habe ich festgestellt, dass es in Schleswig auch ein Haus der grauen Mönche gab, aber in einem Franziskaner-Kloster. Und die Franziskaner haben einen braunen Habit.

Also habe ich überlegt: Farben hatten ja immer eine bestimmte Bedeutung. Rot und Gelb waren Schandfarben. Die Hübschlerinnen (Prostituierte) hatten nur rote Bänder. Die Farbe „Grau“ stand für Bescheidenheit. Und wenn Sie jetzt wissen, dass die Franziskaner und die Dominikaner Bettelmönche sind, dann passt das. Aber ob es wirklich stimmt, weiß ich nicht. Meine Recherche hatte eine Grenze erreicht. Noch tiefer musste ich nicht graben.

inherne: Wer ein neues Genre erobert, muss erst seine speziellen Kontakte gewinnen. Da kennt man seine Quellen, da hat man seine Spezies.

Zweyer: Die habe ich im Laufe der Zeit auch gewonnen. Der Stadtarchivar von Hattingen hat mir einiges vermittelt. Der Germanist Joachim Wittkowski hat mir einiges über die Sprachengeschichten erzählt. Seine Frau ist Professorin für mittelalterliche Sprachgeschichte.

inherne: Ihre Geschichte ereignet sich im Ruhrgebiet und geht später darüber hinaus. Spielt Herne darin eine Rolle?

Zweyer: Einer der großen Gegenspieler im 1. Band ist Philipp von der Schadeburg. Der stammt aus dem niederen Adel. Die Schadeburg stand dort, wo heute die evangelische Kirche in Teutoburgia steht. Da kommt Philip her und tritt nachher in die Dienste des Herzogs von Kleve ein. Die Figur habe ich mir einfallen lassen.

inherne: … der Name Herne kommt gar nicht vor?

Zweyer: Herne gab es nicht, allenfalls in der Form von Haranni. Es gab die Schadeburg, die Strünkeder, den Hof Crange, Bladenhorst und einige andere Höfe. Alles war versumpft, im Sommer litten sie an Malaria, im Herbst sind sie im Schlamm erstickt. Die Emschergegend muss eine ziemlich unwirtliche Gegend gewesen sein. Deswegen bauten die Adligen auch Wasserschlösser.

inherne: Hört die Familiensaga nach drei Bänden auf oder kommt da noch was nach?

Zweyer: Bei meiner Familiensaga plane ich, eine Geschichte über mehrere Jahrhunderte zu schreiben – aber das Vorhaben hängt von Alter, Gesundheit und Motivation ab. Kann ja sein, dass mir diese Familie nach drei oder vier Bänden aus dem Hals raushängt, das gleiche Schicksal wie Reiner Esch erleidet und einfach auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen wird.

inherne: Lässt sich Ihre Familiensaga mit anderen Geschichten aus dem Ruhrgebiet vergleichen?

Zweyer: Meines Wissens gibt es für das Revier keinen so umfangreichen Roman, der so einen weiten Bogen schlägt. In Hattingen definitiv nicht.

inherne: Sie erschaffen das Genre Ruhrgebiets-Mittelalter-Romane gewissermaßen neu?

Zweyer: Das wär ein bisschen dick aufgetragen. Was es sicherlich noch nicht gegeben hat: Dass jemand über zehn Bände eine Ruhrgebietsfamilie verfolgt. Ob ich das Genre neu erfinde, wage ich zu bezweifeln. Irgendwo gibt’s bestimmt historische Literatur über das Ruhrgebiet. In Hattingen bestimmt nicht.

inherne: In Herne ja auch nicht …

Zweyer: Herne ist zu jung. Mit Sicherheit könnte man eine Geschichte schreiben, die auf Strünkede spielt. Aber sie haben zu wenig drum herum. Herne war eigentlich nur Durchzugsgebiet. Die Geschichte Hernes fängt in der Tat mit der Kohle an, mit der Industrialisierung. Und da wird es dann auch wieder spannend – auch für die Saga.

inherne: Neben der Arbeit mit den anderen beiden Bänden beschäftigen Sie sich, wie Sie vorhin einfließen ließen, schon mit einem anderen Projekt?

Zweyer: Ich schreibe derzeit an einem Band über den 4. Kreuzzug, der in den Jahren 1200 bis 1202 spielt. Ich muss mich stark zusammen nehmen, damit das Epos nicht wieder so dick wird. Aber 500 bis 600 Seiten werden es wohl. Als Autor von historischen Romanen hat man immer die Tendenz zu der Einstellung: „Herr Lehrer, ich weiß was!“. Alles was Sie ausgebuddelt haben, wollen Sie auch aufschreiben. Das macht ein Buch nicht immer besser. Dafür gibt es dann Lektorate, die einen dann wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Man hat so viel Arbeit hinein gesteckt, hat etwas gefunden und will es auch unbedingt verwursten, koste es was es wolle, ob es die Geschichte voranbringt oder nicht.

inherne: Ist im 4. Kreuzzug auch ein Ruhrgebietsbezug drin? Oder wagen Sie sich weiter hinaus?

Zweyer: Nein, überhaupt nicht. Die Handlung spielt in Südfrankfreich und in Konstantinopel. Der Roman hat überhaupt keinen Ruhrgebietsbezug.

Das Interview führte Horst Martens.

Fotos: Thomas Schmidt