Kriegserinnerungen eines Lehrers
Der Lehrer Franz Gerlach nahm am Ersten Weltkrieg teil und führte darüber Tagebuch. Eine Schülergruppe hat seine Kriegserlebnisse erforscht.
Der Erste Weltkrieg gelangt in diesem Jahr verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit, da sich sein Ausbruch zum 100. Mal jährt. Geschichtswissenschaft, Tageszeitungen und Zeitschriften nehmen dies zum Anlass, die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, wie der amerikanische Diplomat und Historiker George F. Kennan den Krieg erstmals bezeichnete, sich mit den vielfältigen Aspekten dieses Krieges auseinanderzusetzen.
Nachlass im Stadtarchiv
Der Projektkurs Geschichte des Otto-Hahn-Gymnasiums unter Leitung von Corinna Koch, Geschichtslehrerin am OHG, arbeitet an einem Dokumentarfilm, der den Ersten Weltkrieg, wie er sich in Herne und für die Herner zeigte, in den Mittelpunkt rückt. Dabei soll der Schwerpunkt der Schülerarbeit auf der Nachzeichnung eines Herner Einzelschicksals, aber auch auf der Betrachtung der deutschen Propaganda und der Versorgungslage in Herne liegen. Als ein Ergebnis der Zusammenarbeit der Jugendlichen mit dem Stadtarchiv ist dieser Artikel entstanden, den die Projektgruppe inherne zur Verfügung gestellt hat.
Oberlehrer am Realgymnasium
Er beleuchtet das außergewöhnliche Schicksal des Wanner Soldaten Franz Gerlach. Außergewöhnlich deshalb, weil es auch 100 Jahre nach den Geschehnissen noch möglich ist, viele Einzelheiten aus seinem Leben zu rekonstruieren, denn Gerlach hielt seine Erlebnisse in einem Kriegstagebuch fest und schrieb zudem viele Briefe und Karten an seine Frau Grete. Das Tagebuch und viele von Gerlachs Briefen gehören zum Bestand des Stadtarchivs. Sie lassen einen spannenden Einblick in die Zeit vor 100 Jahren zu: Gerlach wurde am 20. Mai 1884 in Halle an der Saale geboren. Nach dem Abschluss seines Studiums wurde er 1907 Lehrer für die Fächer Mathematik, Physik, Chemie und Mineralogie. 1910 zog es Gerlach nach Wanne, dort wurde er am Realgymnasium, dem heutigen Gymnasium Eickel, Oberlehrer.
Einberufung zu Kriegsbeginn
Mit Ausbruch des Krieges Anfang August 1914 wurde auch Franz Gerlach in das deutsche Heer einberufen. Wie er in seinem Tagebuch vermerkte, fiel ihm der Abschied von seinen Freunden, seiner Familie und seiner neuen Heimatstadt schwer. Besonders die Ungewissheit drückte auf seine Stimmung. So schrieb er am 2. August 1914, also einen Tag nach Kriegsbeginn, in sein Tagebuch: „Meine Familie war schon am Tag zuvor nach Halle an der Saale abgereist, ob ich sie jemals wiedersehen würde, ob ich auch wieder in Wanne [...] [sein würde] und viele andere Fragen erfüllten Herz und Gemüt. Die Stunden schlichen langsam dahin, auf den Straßen sah man nur aufgeregte Menschen.“
Einsatz in Belgien
Während Teile der Bevölkerung eine Kriegseuphorie erfasste, die Wissenschaft nennt dieses Phänomen „Augusterlebnis“, konnte Gerlach diese nicht empfinden. Am 3. August trat der Lehrer seinen Militärdienst an. Zwei Tage bereiteten er und seine Einheit den Abmarsch vor, dann verließ Gerlach das Ruhrgebiet und kehrte in den nächsten fünf Jahren nicht mehr dorthin zurück. Der Weg nach Frankreich führte das Reserve -Infanterie-Regiment 57 westwärts in Richtung Belgien, das trotz seiner Neutralität nach dem deutschen Kriegsplan, dem Schlieffen-Plan, durchquert werden sollte. Das Soldatensein empfand Gerlach als hart. Lange Märsche mit schwerer Ausrüstung, Löcher in den Uniformen und sogar in der Unterwäsche, die Blasen an den Füßen, all das setzte ihm zu. Gerlachs Zug machte eine Woche Rast in Fort Hollangue bei Lüttich. In Lüttich, welches von der deutschen Artillerie schwer bombardiert worden war, erlebte Gerlach zum ersten Mal die Schrecken des Krieges. Häuser und Festungen waren zerstört worden und die hygienischen Zustände waren katastrophal.
In britischer Gefangenschaft
Regelmäßige Briefe
Der Briefverkehr mit den Angehörigen in Deutschland war generell möglich, dennoch dauerte es immer bis zu drei Wochen, ehe ein Brief in Deutschland ankam. So schrieb Gerlach in einem seiner zahlreichen Briefe an seine Frau:
„Meine liebe Grete! Ich schreibe dir heute schon wieder, weil ich noch einen Briefbogen habe und mit meiner freien Zeit sonst nichts anzufangen weiß. Ich denke, dass du jetzt endlich einen meiner Briefe erhalten hast und jetzt über mein Schicksal orientiert bist. Werde ich wohl von dir auch einmal ein Lebenszeichen bekommen, so frage ich mich täglich. Sollte es nicht sein, so werde ich doch nicht verzweifeln, denn ich hoffe bestimmt, dass es dir bei deinen Eltern (Grete war ja nach Halle zurückgezogen) samt den Kindern gut geht. Mein innigster Wunsch ist nur, dass ihr wenigstens einige meiner Lebenszeichen bekommt....“
Rückkehr 1919
Obwohl der Krieg November 1918 endete, musste Gerlach dennoch ein weiteres Jahr in Gefangenschaft verbringen. Nach 1885 Tagen in Großbritannien wurde er am 13. November 1919 entlassen und konnte zu seiner Familie heimkehren. Gerlachs Tagebuch zeichnet das Schicksal eines eher ungewöhnlichen Ausgangs des Fronteinsatzes nach. Auch wenn die Kriegsgefangenschaft keinesfalls als positive Erfahrung gewertet werden kann, so überlebte Gerlach jedoch den Krieg unversehrt, während Millionen seiner Kameraden im Ersten Weltkrieg fielen.
Autoren: Marvin Hartmann, Tobias Röhrig, David Hötten, Theo Lengemann, Florian Astroh, Tim Wormat (alle Projektgruppe Geschichte des Otto-Hahn-Gymnasiums; Leitung Corinna Koch)
Redaktion: Christoph Hüsken
Siehe dazu auch diese Beiträge:
Literatur: Sachbücher zum Ersten Weltkrieg
Die Spionin an der Eickeler Grenze